Stimmungsvoll beleuchtetes Rathaus, davor eine Bühne mit Musikern und Sängern Pfaffenhofen

Joseph-Maria-Lutz-Stipendiatin 2017: Marie-Alice Schultz

Marie-Alice Schultz
© Sophia Mairer

Mitte November 2016 endete die Bewerbungsfrist für das Lutz-Stipendium. Über die Vergabe des Stipendiums für das Jahr 2017 entschied wieder eine dreiköpfige Fachjury, bestehend aus dem Pfaffenhofener Schriftsteller und Kulturreferenten Steffen Kopetzky, der Kultur-Journalistin Barbara Fröhlich und dem Theaterwissenschaftler, Dramaturgen und Philosophen Dr. Lenz Prütting.

Die Jury machte es sich nicht leicht bei der Findung des Stipendiaten, allerdings setzte sich Marie-Alice Schultz aus Hamburg letztendlich klar und deutlich durch. Mit ihr fiel die Entscheidung auf eine Schriftstellerin, die gleichfalls in der Bildenden Kunst zuhause ist und diese doppelte Ausrichtung für ihre Arbeit nutzt.

Grund dafür, dass die Wahl auf sie fiel, war allerdings ihr eingereichter Romanauszug, der aus verschiedensten Perspektiven die Geschichte einer Familie schildert und dabei auch die innerdeutsche Grenze und deren Einfluss auf die Biographien thematisiert. Dieses besondere Interesse spiegelt sich auch in der Aussage Schultz‘, sich selbst charakterisierend: „Mein besonderes Interesse gilt Hindernissen, Zäunen und Schwellen. Sie finden mich unterwegs oder in ein Gespräch verwickelt.“ Es ist gerade die Technik des Schreibens, das Verweben von Einzelschicksalen in ihren spezifischen Übergangssituationen über Generationen hinweg, von der die Jury überzeugt ist, dass sie gut für Pfaffenhofen und für den zu formulierenden Text- ihren „Zwischenfall“- geeignet ist.

Marie-Alice Schultz wurde 1980 in Hamburg geboren. Sie studierte von 2000 bis 2005 Theaterwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität in Berlin und begann 2010 ihr Studium der Bildenden Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Seit ihrem Diplom 2010 arbeitet sie als freie Künstlerin oder, wie sie es selbst formuliert, an der Schnittstelle zwischen Text und Zeichnung.

2011 erhielt sie für ihr Projekt „Stationen, unter anderem. Mögliche Ansagen für den Untergrund“ (einer Sammlung von Texten über die Wiener U-Bahn) das Autorenstipendium der Stadt Wien. Im selben Jahr wurde ihr ein Atelierstipendium des BMUKK für die Cité des Arts in Paris zugesprochen.

Ihre Texte erschienen u. a. im Ziegel: Hamburger Jahrbuch für Literatur und in der Anthologie der 11. Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung Federlesen. 2016 war sie darüber hinaus Stipendiatin der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung und Teilnehmerin des 20. Klagenfurter Literaturkurses.

Ende April 2017 kam die junge Autorin in Pfaffenhofen an. Während ihres dreimonatigen Stipendiums plante sie an ihrem ersten Roman „Mikado-Wälder“ weiterzuarbeiten. Auch an der Langen Nacht der Kunst und Musik, die am 30. Juni stattfand, beteiligte sich Marie-Alice Schultz mit einem interessanten Projekt.

Zum Abschluss ihres dreimonatigen Aufenthalts in Pfaffenhofen stellte die Lutz-Stipendiatin in einer Kultursommer- Lesung ihren lang erwarteten Text über Pfaffenhofen vor, der vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Schultz mit Kopetzky und Dörfler

Selbst Kulturreferenten Steffen Kopetzky fehlten nach der Lesung des „Zwischenfalls“ nach eigener Bekundung die Worte, so gut geschrieben und passend für Pfaffenhofen sei der Text, den Alice-Marie Schultz unter dem Titel „Gegebenenfalls ein Messer“ bei ihrer Abschluss-Lesung präsentierte. Die Stipendiatin konstruierte ihren eigenen Zwischenfall als Erbfall, den unglaublichen Zufall nutzend, dass ein Freund aus Wien eine Wohnung in Pfaffenhofen erbte, samt persönlichem Nachlass der verstorbenen Tante. Die Auseinandersetzung mit dem Nachlass und insbesondere mit dem Leben der Verstorbenen, die eine Vertriebene aus Schlesien war, bildet die Basis des Textes. Die Reflexionen über das Schicksal der Tante nach dem Krieg und ihre Zeit in Pfaffenhofen, beschrieben über die Einbeziehung verschiedenster Zeitdokumente wie etwa Briefen von Verwandten oder auch Behörden, in Verbindung mit einer genauen Beobachtung des Lebens in Pfaffenhofen während des dreimonatigen Aufenthalts, erzeugen den ganz speziellen Sound des Textes. Sehr fein und genau konstruierte Schultz die verschiedenen Ebenen des Textes, springt zwischen eigenem Erleben, Reflexion über das Leben der Verstorbenen und minutiös formulierten Miniaturen über die Stadt. Sie erschuf damit ein ganz besonderes Porträt der Stadt, das nicht nur die Gegenwart abbildet, sondern auch die Vergangenheit.

Manch einer im Publikum mochte sicherlich während der Lesung Zweifel entwickeln, ob hier nicht dem Zufall auch nachgeholfen wurde, so abstrus waren die zufälligen Verbindungen und so sehr passte dieser Text nach Pfaffenhofen und so genau war er das, was man bei der Begründung des Literatur-Stipendiums als Ergebnis für einen Aufenthalt eines Literaten in Pfaffenhofen erhofft hatte. Doch wer auch immer Zweifel hatte, sie wurden sofort zerstreut durch die zufällig(!) anwesenden Bekannten der verstorbenen Pfaffenhofenerin, die sie in den Charakterisierungen im anonym gehaltenen Text erkannt hatten und die überzeugt waren, dass der Text der Toten gerecht würde und ihr sicherlich gefallen hätte. Sehr bescheiden nahm Marie-Alice Schultz den anhaltenden Applaus des begeisterten Publikums auf und dankte für die schöne Zeit in Pfaffenhofen.

Was man dem Text auch anmerkte: Die Künstlerin und Literatin Schultz hat einen guten Kontakt zur Stadt gefunden. Während ihres Aufenthalts im Flaschlturm hat sie selbst aber auch viele Spuren hinterlassen: Sie las in der Kreisbücherei, wo sie auch als Jury-Mitglied an einem Lyrik-Wettbewerb für Jugendliche teilnahm, und am Schyren-Gymnasium vor einer Schulklasse. Außergewöhnlich war sicherlich ihre Aktion während der Langen Nacht der Kunst und Musik, die zwischen Performance, Kunst und Literatur schwebend, unter dem Titel „Meteoriten-Miniaturen“ so manchem Pfaffenhofener ein besonderes Erlebnis bescherte: Auf Matratzen im Durchgang des Flaschlturms liegend, konnten die Besucher bei dieser Gelegenheit an die Decke projizierte Meteoriten-Aquarelle betrachten und dabei kleine poetische Miniaturen über den Aufprall von Meteoriten und ihrer Wirkung auf die betroffenen Menschen hören.

Nach drei Monaten hat Marie-Alice Schultz nun plangemäß ihren Aufenthalt beendet und ist weitergezogen nach Köln, wo sie Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westfalen ist und am Projekt „stadt.land.text“ mitwirkt.